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07 Kolumne

07 Kolumne

Frieden finden. Manchmal hört man Sätze, die bleiben einem im Kopf, nisten sich ein wie die Dauerschleife auf dem Anrufbeantworter.
„Die Zeit ist aus den Fugen“ legte, Shakespeare um 1600 seinem Hamlet in den Mund – es muss also schon ein sehr altes Phänomen sein, dieses Gegenwartsempfinden, die Welt breche auseinander, sei aus den Fugen oder auch aus dem „Leim“ – wie es in einer anderen Übersetzung des Stückes heißt. Nichts mehr da, was uns zusammenkittet, aufgebraucht der Stoff, der die Verbindung schafft zwischen den Menschen?
Und doch erscheint mir in meiner Gegenwart dieser „Tsunami“ an schlechten Nachrichten über den Zustand der Welt, der täglich über mich hereinbricht, jedes bisher gekannte Maß zu übersteigen. So sehr, dass ich mich mitnichten
- wie einst Hamlet, der papierne Held - berufen fühle, die Welt wieder einzurenken, zusammenzufügen, die offenen Gräben zu kitten. Dieses Vorhaben scheint mir in unerreichbare Ferne gerückt ... Was bleibt ist Flucht.

Man kann das Radio abschalten, den Fernsehapparat entsorgen, das Handy auf Flugmodus stellen und den Laptop nicht aufklappen. Man kann sich die Jacke vom Haken greifen, in die Wetterstiefel schlüpfen, die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen und eine Stunde durch den Wald laufen.
Man kann zum Telefon greifen und ein gutes Gespräch führen. Man kann den Kindern ein freies Wochenende verschaffen und die Enkel zu sich holen. Da haben alle was davon: Die jungen Eltern endlich mal Zeit für sich, die Kinder erholen sich von den ewig gestressten Mama und Papa, die Großeltern genießen das neugierig fröhliche Geplapper am Abendbrottisch und die Winzlinge, dass mal andere Regeln gelten als zuhause, oder gar keine oder, dass es überhaupt Regeln gibt.
Und dann geht man mit den Kurzbeinigen nochmal raus. Nennt die Namen der Blüten, die selbst im Novemberwald noch zu entdecken sind, sieht, wo ein Reh seine Spuren hinterlassen hat, oder rettet gemeinsam mit den Nachkömmlingen ein aus dem Nest gefallenes Eulenjunges. Oder man tastet sich schweigend im Eindunkeln durch das Geäst und riecht die Pilze, hört das Knacken trockener Äste oder nachtaktiver Waldbewohner. Waren da nicht ein paar glühende Augen. Ein Wolf? Ein Luchs? … Lebendige Schönheit voller Energie und Zukunft. Als die Enkel im Bett liegen und wieder Stille einzieht im Haus, schalte ich das Radio ein und höre die Nachricht: „Die Geiseln werden nicht überleben.“
Zwischen mir und dem Gazastreifen liegen etwa 3000 Kilometer. Es könnte ich gewesen sein, eines meiner Kinder, meiner Enkel … Das Leben könnte bedroht oder zu Ende sein – von einem Moment zum anderen. Nur weil man gerade zur falschen Zeit am falschen Ort .... Das Schlimmste ist nicht die Vorstellung, die Katastrophe anderswo könnte auch die meine sein, denn das ist nur eine Vorstellung. Das Schlimmste ist, zu begreifen, dass ich nichts, aber auch gar nichts tun kann, um am Inhalt dieser Nachricht irgend etwas zu ändern.
Morgen werden wir mit den Enkeln ein Winterhaus für den Igel bauen, die Rosenstöcke verpacken, damit sie die Kälte überstehen, ein Feuer anzünden und Kastanien rösten. Frieden ... für den Moment. An die Möglichkeit, von Frieden zu glauben bin ich ihnen schuldig, wenigstens das. (Caren Pfeil)

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